Das Buch des Vaters by Widmer Urs

Das Buch des Vaters by Widmer Urs

Autor:Widmer, Urs [Widmer, Urs]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Neue Literatur
ISBN: 978-3-257-60054-4
Herausgeber: Diogenes
veröffentlicht: 2015-01-13T05:00:00+00:00


ABER als der Vater, ein paar Wochen später, aus dem Militärdienst entlassen wurde, war im Haus alles wieder so, wie er es verlassen hatte. Die Deutschen waren nicht gekommen, und alle Frauen waren zurück. Clara, Nina, Jo, Hildegard und auch Rösli. Der Frosch, ich, spielte auf seinem Sandhaufen. Sogar Rüdiger stand wieder auf der Terrasse wie auf einer Kommandobrücke und brüllte den Doggen, die im Garten herumstrichen, Befehle zu. Auch Hobby schnüffelte an seinen alten Ecken herum. Daß die Zierfische andere als vor der Flucht der Frauen waren, wußten nicht einmal sie. (Clara hatte die alten vergessen, so daß sie verhungerten oder erstickten. Jedenfalls schwammen sie, als sie zurückkam, mit den Bäuchen nach oben, und Clara wechselte das Wasser, packte einen der Kadaver [109] in eine Zeitung und kaufte neue, genau gleiche und gleich viele.) Das Unkraut, das die Astern und Dahlien und sogar den Rittersporn und die Malven überwuchert hatte, war gejätet. (Clara und Nina hatten Tage im Garten verbracht und sogar das Moos in den Ritzen der Granitplatten des Gartenwegs ausgekratzt.) – Der Vater ging nicht auf der Straße, ausnahmsweise, sondern quer über die Stoppeln des Getreidefelds, das gerade eben abgeerntet worden war. Eine Abkürzung. Das Haus leuchtete vor der Glut der Sonne, die riesengroß im Garten versank. Ein schwarzer Würfel vor einem Feuerball. Auf dem Dach, in den schon dunkleren Himmel hineinragend, der Antennenmast. Der Vater ging schnell, in einer bangen Erregung, über die Schollen stolpernd, so daß das Eßbesteck in seinem Blechgeschirr herumschepperte und das Bajonett gegen seine Beine schlug. Der Stahlhelm oben auf dem Tornister sprang auf und ab. Das Licht blendete ihn, aber, kein Zweifel, Schatten standen da, dort ums Haus herum, bewegungslos, wartend. Die Schatten der Frauen. Allerdings erkannte er auch nicht, als er die Augen zusammenkniff und beide Hände über sie hielt, welche welche war. Waren die Silhouetten vor der Garage Jo und Hildegard? Oder war Nina die bei der Wassertonne, und beim Tor stand Rösli? Die zwei starren Schatten, die neben dem Magnolienbaum lauerten, das waren die Doggen. Kein Zweifel. Und kein Zweifel auch, daß Clara der Schattenfleck war, der neben einem Feuer stand, das unsichtbar blieb, weil seine Flammen von der Sonnenglut verschluckt wurden, dessen Rauch aber in glutroten Schwaden in den abendblauen Himmel hinaufstieg. Neben Clara zwei Schattenpunkte: [110] das Kind, der Hund. Der Hund, das Kind. Der Vater, Karl, tanzte und warf die Arme hoch und juchzte, und als sei das ein Befehl, gerieten alle Frauen in Bewegung und verschwanden im Haus. Auch die Doggen, auch Hobby – er war der größere der beiden Schattenpunkte gewesen – und sogar das Kind, das langsamer als alle andern war und dennoch fast sofort von dem schwarzen Kubus verschluckt wurde. Die Sonne ging unter und hinterließ über dem Horizont einen roten Schein, der schnell blasser wurde und ganz verschwunden war, als der Vater das Gartentor erreichte und – er trug die Nagelschuhe – über die Granitplatten des Wegs lärmte. Eine blaue Dämmerung bis zur Haustür, und kaum noch Licht, als er



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